Praxisportrait

Firmenporträt Gert Levy – Praxis für Gestalt und Migration

Firmenporträt
Qualitätszertifikat nach ISO 9001: 2008
Jahresbericht 2014
Jahresbericht 2013
Jahresbericht 2012
Jahresbericht 2011
Statistik 2011 online aufrufen oder herunterladen

Gert Levy ist 70 Jahre alt. Das erste Mal begegne ich ihm in Nippes auf der Neusser Straße. Eine Freundin macht uns bekannt und gemeinsam trinken wir Café auf dem Schillplatz. In seiner Lederjacke mit Kapuzensweatshirt drunter sieht er aus wie ein Rockstar, der als Streetkid unterwegs ist. Sein Gesicht verrät, dass er schon einiges erlebt hat, doch sobald ein Lächeln seine Sorgenfalten glättet, wirkt er geradezu jungenhaft. Schnell ist ein Gespräch gefunden. Der weitgereiste Sozialpädagoge und Psychotherapeut weiß eine wissbegierige Ethnologin und Journalistin aufs Beste zu unterhalten. Egal, ob Kenia oder Nepal, Madagaskar oder der Nahe Osten, der Mann hat Ahnung und ich einen Auftrag – nach einem weiteren Treffen. Er fragt, ob ich Interesse hätte, ein Porträt über seine Praxis für Gestalt und Migration in der Südstadt zu erstellen und zwar mittels teilnehmender Beobachtung und journalistischer Interviews. Er will eine Zertifizierung seiner Einrichtung erreichen. Ein entsprechendes Qualitätsmanagement muss deshalb durchgeführt werden und da passe ich ganz gut rein. Kurz drauf willige ich ein und der erste Termin in den Räumlichkeiten seiner Praxis steht im Spätsommer 2010.

Das Prozedere

Durch Mund-zu-Mund-Propaganda und/oder durch Allgemeinmediziner oder Substitutionsärzte erfahren die Klienten von der Möglichkeit, sich an die Praxis für Gestalt und Migration zu wenden. Ihre Motivation ist klar: Sie wollen substituiert werden. Ohne psychosoziale Begleitung müssten sie das Substitutionsmittel allerdings selbst zahlen und das ist ihnen in den seltensten Fällen möglich. Aus ihrer Vergangenheit wissen sie, dass die Drogeneinnahme dazu geführt hat, dass sie erhebliche Defizite haben.

Sie können ihre sozialen, bürokratischen und juristischen Anforderungen nicht mehr erfüllen, tauchen auch deshalb immer tiefer in den Sumpf ein und brauchen Hilfe und Unterstützung von außen.

Nach Beginn des „Ambulant Betreuten Wohnens“ erstellt Levy eine „Entlastung von der Schweigepflicht“ mit den Klienten, schickt diese zurück an die behandelnden Praxen und an die begleitenden Institutionen. In der Folge werden während des gesamten Zeitraums der Betreuung regelmäßig Fallbesprechungen mit diesen Instanzen durchgeführt.

Nach drei bis fünf Informationstreffen meldet Levy die Klienten beim Landschaftsverband Rheinland (LVR) zum „Ambulant Betreuten Wohnen“ an. Ab diesem Zeitpunkt beginnt er mit ihnen, einen individuellen Hilfeplan (IHP) zu erstellen. Dieser beschriebt sowohl die Biografie des Klienten in sozialer, juristischer und allgemeiner Lebenssituation. Nachdem der Therapeut dann die sozialhilferechtlichen Grundlagen und Unterlagen erhalten hat und der IHP erstellt ist, reicht Levy ihn sowohl beim LVR als auch entweder – liegt eine psychische Erkrankung vor – beim Sozialpsychologischem Zentrum (SPZ) oder – liegt eine Suchterkrankung mit illegalen Drogen vor – beim Gesundheitsamt der Stadt Köln – ein. In diesen beiden Institutionen finden dann erneut zirka zwei Monate später die Hilfeplankonferenz (HPK) statt. Dort wird die Stundenzahl beschlossen, die Levy für den jeweiligen Klienten zur Verfügung hat.
Zirka zwei Monate später erhält er dann rückwirkend ab Anmeldung den Bewilligungsbescheid und dann, aber höchstens bis zu 12 Monaten, den jeweiligen Fachleistungsstundensatz. Einen Monat vor Ablauf der Bewilligungsfrist kann ein Folgeantrag gestellt werden, der allerdings nur einen geringeren Umfang haben darf als der Vorausgegangene.

Die Klienten dieser Praxis sind fast ausnahmslos kriminalisiert. Sie unterliegen juristischen Verfahren und Weisungen, müssen um ihre „Duldung“, ihre „Aufenthaltsgenehmigung“ oder ihren „Aufenthaltsstatus“ bangen und sich zum Teil regelmäßig bei der Bewährungshilfe melden. Ein Großteil der Arbeit besteht somit in der Abwicklung dieser bürokratischen und juristischen Angelegenheiten mit der Klientel. Levy braucht hierzu eine ausgereifte Logistik und gegebenenfalls muttersprachliche Fachkräfte zur Sprachvermittlung. Er benötigt große Kenntnisse der kulturellen und politischen Spezifitäten der Herkunftsländer seiner Klientel und vor allen Dingen eine hohe Feinfühligkeit für die hieraus entstehenden Reibungsflächen.

Finanzierung und Refinanzierung

Kernpunkt der Problematik innerhalb der Refinanzierung ist, dass Levy somit im Schnitt vier Monate in Vorleistung treten muss. Er sagt dazu, dass ihm dies überhaupt nicht möglich wäre, hätte er nicht noch andere Einnahmequellen wie Einzeltherapie, Supervision, Fortbildungsangebote und hier und da auch Lehraufträge.

Abrechenbar sind – im Rahmen des „Ambulant betreuten Wohnens“ – nur sogenannte „face-to-face“- und „ear- to-ear“-Kontakte. Das heißt im Klartext: Ist ein Termin mit einem Klienten vereinbart, der aber nicht zustande kommt, weil der Betreffende nicht anwesend war, dann ist diese Zeit auch nicht abrechenbar. „Fahren wir zu ihm und er ist nicht da, verlieren wir die Anfahrzeit und die Zeit, die wir für das Gespräch vereinbart haben. Menschen mit psychischer Erkrankung und gar Sucht zeichnen sich durch ein hohes Maß an Unzuverlässigkeit aus“, so Levy.

Die Menschen – so scheint es ihm – sind verloren in Zeit und Raum, quasi orientierungslos, da heimatlos. So entstehen erheblich Einbußen bei den Einnahmen. Bei zirka 60% der Terminvereinbarungen, die seitens der Klientel nicht ohne weiteres eingehalten werden, wird eine Kostenkalkulation zum reinen Vabanquespiel.

Eine solche Praxis könne gar nicht überleben, wenn sie nicht gleichzeitig in einer Art Bauchladensystem weitere qualifizierte und hochwertige Angebote hätte. „Durch diese Diversifizierung verbreitert sich die Angebotslage und die lange Wartezeit auf die Refinanzierung des Kernstücks, das „Ambulant Betreute Wohnen“, kann überbrückt werden“, fasst Levy zusammen.

Neue Regelungen seitens des LVR, wie beispielsweise die Hinzuziehung eines zweiten, sogenannten „externen Gutachter“ bei der Bewilligung der Anträge, verzögern das ganze Procedere weiter. Nicht nur, dass die externen Experten über ganz NRW verteilt sind und deshalb lange Anfahrtszeiten erfordern, wird zum Problem, sondern auch die Tatsache, dass die oft Schwersttraumatisierten sich nicht noch einer zweiten Begutachtung aussetzen wollen und können. Auch hier sind zusätzliche Sonderleistungen der Betreuer in Form von Überzeugungsgesprächen und Begleitungen zu leisten, die ebenso wenig abgerechnet werden können wie zusätzliche Terminvereinbarungen oder notwendige Sprachvermittler.

Belastung der Betreuer

Zusätzlich ergeben sich erhebliche Schwierigkeiten bei den Vorortbesuchen in einigen wenigen, aber doch sehr problembelasteten Kölner Bezirken. In den letzten Jahren haben sich mindestens in zwei Kölner Stadtvierten sogenannte „no-go areas“ entwickelt. Hausbesuche dort führen zum Teil durch die vermutete Gefahr der körperlichen Bedrohung zu erheblichen psychischen Belastungen der Betreuer.

Die Form des „ambulanten Betreuens“ erfordert jedoch eine große Mobilität seitens der Betreuer. Die Klientel wohnt über den gesamten Stadtbezirk verteilt. Oft können sie sich nicht aussuchen, wo sie wohnen wollen, sondern werden an den Rand der Stadt gedrängt. Ein Hausbesuch ist demnach nicht nur nervenaufreibend, sondern auch zeitaufwändig.

Gemeinwesenarbeit

Eine zentrale Erkenntnis, die Levy im Rahmen seiner sozialen Arbeit gemacht hat, ist es, dass diese nicht ohne den Dialog aller Beteiligten stattfinden darf. Das wusste natürlich auch der LVR und inthronisierte von Anbeginn an den AKBeWo (Arbeitskreis Ambulant Betreutes Wohnen). Levy nahm gleich zu Anfang an diesen Sitzungen teil. Dort trafen sich alle sechs Wochen alle mit dem „Ambulant betreuten Wohnen“ betrauten Anbieter. Das heißt: sowohl diejenigen, die sich um Menschen mit rein psychischen Erkrankungen und Suchterkrankungen mit legalen Drogen kümmern, als auch die Praxen, die die ordnungspolitisch noch problematischeren Bereiche der Suchterkrankungen mit illegalen Drogen abdecken. Die Arbeitsabläufe in diesen letzteren Bereichen unterliegen noch sehr viel engeren Rahmenbedingungen. Sehr schnell schlug Levy deshalb vor, einen eigenen Gremienbereich zu entwickeln, der die Betreuung von Menschen mit Suchmittelabhängigkeiten illegaler Drogen vereint.

Im Einverständnis und in Absprache mit dem Gesundheitsamt Köln initiierte Levy dann 2007 den sogenannten Unterarbeitskreis (UAK) Illegale Drogen. Heute wird dieser AK-Bewo Sucht genannt. Seine Grundhaltung lautet, dass durch das Gespräch aller Betroffenen – sowohl der Institutionen als auch der mit der Betreuung Beauftragten – Qualität in der Betreuung erst hergestellt werden kann. Darüber hinaus galt es aus seiner Sicht, ein Gremium der Moderation zur Bearbeitung von systemisch bedingten Konflikten in Gang zu setzen. Dass hieraus auch ein Steuerungselement der Drogenpolitik im gesamten Kölner Gemeinwesen geworden ist, war ebenfalls sein explizites Ziel.

Ihm geht es darum, dass erst durch den Dialog Problemstellungen erkannt und nach dem Erkennen beschrieben und gelöst werden können. Das gilt sowohl in der Arbeit mit den Klienten als auch mit den Institutionen. Levy wurde sehr geprägt durch die Arbeiten und Denkansätze von Guattari und Deleuze. Ihm geht es um die systemische Herangehensweise und in der Folge auch um systemische Gestaltung im Gemeinwesen. „Wir können“, so sagt er, „allein schon durch das Betrachten der Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, unsere Realität verändern.“ Ein zentrales Medium, des stets um Dialog bemühten Therapeuten, ist das Radio. Für ihn ist das Radio, aufgrund seiner einfacheren technischen Handhabe als zum Beispiel das Fernsehen, ein optimales Organ, um Betroffene zu Wort kommen zu lassen. Er nutze diese Medium schon sehr früh. Er gab Ihnen die Möglichkeit, ihre Probleme darzustellen, sich zu zeigen und für sich eine Lobby zu schaffen. Und genau das ist es, was er heute auch in seiner Praxis macht!